Zum Buch:
Neurodiversi-was? ADHS, AuDHS, LRS und Dyspraxie? Sind das nicht irgendwie Mode-Diagnosen, um erhöhte Unruhe, Lesefaulheit und mangelnde Konzentrationsfähigkeit von Schulkindern mit einem medizinischen Label zu versehen und damit greifbarer zu machen? ADHS, Autismus, ist das nicht eh alles das Gleiche? Hört man von desinteressierten Menschen auch immer wieder
Die Autorin Kathrin Köller und die Illustratorin Irmela Schautz räumen mit diesen Fehleinschätzungen gründlich auf. In Richtig anders – Anders richtig darf die neugierige Leserschaft eintauchen in völlig andere Wahrnehmungs- und Verarbeitungswelten von sinnlichen Eindrücken und menschlicher Interaktion.
Nein, nicht alle Menschen im autistischen Spektrum haben eine Inselbegabung oder sind so leicht identifizierbar wie Dustin Hoffman damals in Rainman. „Kennst Du einen Autisten, kennst Du genau einen Autisten“, räumt die Autorin mit stereotypen gesellschaftlichen Vorstellungen auf. Dass es bei Menschen im autistischen Spektrum zu ganz unterschiedlich stark ausgeprägten Reibungspunkten mit den gesellschaftlichen Erwartungen kommen kann (z.B. Kommunikation, Wahrnehmung von Situationen, Ruhebedürfnis usw.), wird durch aussagekräftige Illustrationen verdeutlicht.
Kathrin Köller, laut Buchangaben selbst neurodivergent, hat Fakten und Interviews zusammengetragen, um sichtbar zu machen, was sich oft als vage Verunsicherung im Umgang mit neurodivergenten Menschen einstellt. „Manchmal braucht man einfach Empathie“, sagt z.B. Yello, der gerade in Berlin sein Abitur gemacht und ADHS hat, früher jedoch mit seiner Familie in Kalifornien lebte. Aus seiner Sicht ist das deutsche, immer noch sehr frontal und wenig individuell ausgerichtete Schulsystem für SchülerInnen mit ADHS besonders ungeeignet. „Die Welt braucht alle möglichen Hirne“, sagt Temple Grandin, renommierte Tierwissenschaftlerin und erste selbst betroffene Autismus-Forscherin
Nicht was Menschen mit z.B. ADHS oder Autismus denken, sondern wie sie denken, ist der Schlüssel zum Verständnis. Dank moderner Hirnforschung weiß man, so Köller, dass die Gehirne der Betroffenen teilweise anders aussehen und anders arbeiten. Anders zumindest als die der neurotypischen, sogenannten normalen Menschen. Diese einseitige Blickrichtung wird im hier empfohlenen Buch um viele, ausgesprochen spannende Perspektiven erweitert. Verblüffend und auch ziemlich amüsant ist es schon, wenn mal aus der Sicht neurodivergenter Menschen auf die vermeintlich Normalen, ihre Unfähigkeiten und Störungen geschaut wird.
Die pure Tatsache, dass in Deutschland schätzungsweise jede fünfte Person von Neurodivergenz betroffen ist und diese Menschen mehr oder weniger gut angepasst oder maskiert Teil unseres Alltags sind, könnte für jeden zwischen 11 und 99 schon Grund genug sein, Richtig anders – Anders richtig in die Hand zu nehmen. Ganz nebenbei ist das Buch aber auch hilfreich, ziemlich witzig („Eine Katze ist kein defekter Hund, sondern eine Katze!“), eine Fundgrube voller Fakten und Anekdoten rund ums Thema und macht Betroffenen und ihrer Umwelt klar, wie wichtig und bereichernd es ist, neugierig auf Andersartigkeit zu sein. Anders ist eben genauso richtig, aber eben anders!
Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt