Zum Buch:
„Ich war sein Kind und ihr Kind, aber nicht beider Kind, es gab niemals uns drei.“
„Alt zu werden ist eine verschlungene Choreographie …“
Der eine Satz steht am Anfang, der zweite in der Mitte von Linn Ullmanns neuem Roman Die Unruhigen, und sie umfassen das gesamte Buch. Ingmar Bergman hat fünfmal geheiratet und hatte insgesamt neun Kinder. Die Autorin ist das jüngste und stammt aus seiner Beziehung mit der Schauspielerin Liv Ullmann. Nach der Trennung der beiden wächst sie bei der Mutter auf, die durch ihre Arbeit beim Film und im Theater häufig abwesend ist. Im Sommer verbringt sie jeweils einen Monat beim Vater, in dessen Haus auf der Insel Farö.
Erinnerungen an die Kindheit sind ein Strang des Buches, in ihm ist Ullmann „das Mädchen“ oder „das Kind“. Ein Kind, das häufig alleine ist und Ängste vor dem Verlust der Mutter hat, deren chaotisches Leben beide überfordert. Der Vater hat die bessere Rolle. Er ist zwar nur einmal im Jahr für kurze Zeit für das Kind verantwortlich, in dieser Zeit jedoch herrschen klare Regeln und Strukturen. Ein gemeinsames Leben mit Mutter und Vater kennt sie nicht und wünscht sich, „… möglichst schnell erwachsen zu werden, es gefiel mir nicht, ein Kind zu sein …“.
In einem zweiten Strang spricht die erwachsene Autorin über ihr Verhältnis zu den Eltern, über ihr eigenes Leben und Schreiben.
Der dritte Strang ist Zentrum und Angelpunkt des Buches. Hier erzählt Ullmann von einem Buchprojekt, das Tochter und Vater gemeinsam durchführen wollten, als der über achtzigjährige Bergman sich bereits von allem zurückgezogen hatte und alleine – nimmt man die sechs Frauen, die sich abwechselnd um sein leibliches Wohl kümmern, aus – auf Farö lebte: Die Autorin wollte den Vater über sein Leben und das Altern befragen und die Interviews auf Tonband aufzeichnen. Nach Abschluss der Gespräche sollte daraus ein gemeinsames Buch entstehen. Über lange Zeit planten beide, wie und in welcher Form die Gespräche ablaufen sollten. Als es dann endlich dazu kam, war es zu spät. Bergmann war bereits schwer krank, Gedächtnis und Sprache versagten immer mehr. So wurden die wenigen Aufzeichnungen zum Zeugnis des Verschwindens eines Menschen.
Die Unruhigen ist ein Buch über die Liebe, den Tod und das Leben. Die Liebe zu Menschen und zu Orten und was es bedeutet, sie loslassen zu müssen und weiter zu leben. Ein vielschichtiger Text. Sanft und traurig, voller Licht und Freude, wütend und komisch zugleich. Warum dieser autobiographische Text Roman genannt wird, sagt die Autorin selbst: „Um über wirkliche Personen zu schreiben (…), ist es notwendig, zu fiktionalisieren. Ich glaube, das ist der einzige Weg, ihnen Leben einzuhauchen.“ Und das ist ihr ganz wunderbar gelungen.
Ruth Roebke, Bochum