Zum Buch:
Viele Adoptivkinder behalten ihr Leben lang ein Gefühl, nicht komplett zu sein. Gleichgültig, ob ihre Eltern offen oder versteckt mit der Adoption umgegangen sind, ob sie in einem liebevollen Umfeld aufwuchsen oder nicht. Jeanette Wintersons Adoptivmutter – depressiv, von der Apokalypse besessen, frömmlerisch – war sicherlich ein Sonderfall. Sie machte kein Hehl aus der Adoption und erzählte dem Kind, wenn es in ihren Augen wieder einmal unartig gewesen war, der Teufel habe sie bei der Auswahl ihres Adoptivkindes an das falsche Bettchen geführt.
Dieses Nicht-gewollt-Sein ist das lebensbegleitende Gefühl des Kindes, und die einzige Rettung daraus sind – Worte. So exzessiv die Eltern, beide Mitglieder einer Pfingstlerbewegung, aus der Bibel lesen, so exzessiv wird Jeanette, kaum dass sie lesen kann, in der Bibliothek des Ortes die englische Literatur von A-Z in sich hineinfressen. Gierig nach Worten und Geschichten, die den Kopf füllen und die einsamen Stunden verkürzen, die sie nächtens ausgesperrt auf der Haustreppe oder eingesperrt im Kohlenkeller verbringen muss, weil man sich an sie erinnern kann.
Die endgültige Befreiung aus der Umklammerung des Elternhauses wird die Entdeckung der Liebe zu einem anderen Mädchen. Auf ihren Wunsch, glücklich sein zu wollen reagiert die Mutter mit der titelgebenden Frage: „Warum glücklich statt einfach nur normal ?“
Anders als in ihrem erfolgreichen Romanerstling „Orangen sind nicht die einzige Frucht“, erzählt Winterson hier weiter. Wie eine Englischlehrerin ihr hilft, die Schule zu Ende zu bringen und einen Studienplatz in Oxford zu bekommen, wie sie ihren Weg als Schriftstellerin findet, zum Erfolg kommt und zu Geld. Und sie erzählt von der Liebe, vom Glück und von dem Zwang, es immer wieder zu zerstören. Immer deutlicher wird ihr: Das Loch, die große Leerstelle des Kindes, das sich nie geliebt, gewollt und sicher fühlte, macht ihr gesamtes Leben zu einem „Ritt über den Bodensee“. Irgendwann kommt dann der Zusammenbruch – aber auch daraus findet sie mit ihrem unbändigen Lebenswillen aus eigener Kraft wieder heraus.
Das Buch endet mit der Suche nach der leiblichen Mutter, die sich als, als Jeanette sie trifft, als das freundliche Gegenteil von Ms. Winterson entpuppt. Aber auch das ist kein Happy-End. Es ist eine weitere Version ihrer Geschichte. Die Wunde wird bleiben und weiter schmerzen, aber sie ist auch die Quelle von Wintersons Kraft und Kreativität.
Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt