Zum Buch:
Zu Kaiser Nero wurde schon viel, sehr viel geschrieben. Die historischen Biographien stapeln sich, die künstlerischen Auseinandersetzungen sind Legion, und der Harfe spielende Sir Peter Ustinov, der in der Verfilmung von Sienkiewicz´ Roman Quo Vadis den Nero gab, ist für eine ganze Generation zum Inbegriff dieses berühmt-berüchtigten römischen Herrschers geworden. Nero, der tragische Künstler-Kaiser und letzte Spross der julisch-claudischen Dynastie, inspirierte viele zu vielem. Die Mythen, die sich um seine Biographie ranken, sind längst ins Allgemeinwissen eingegangen, die Figur Kaiser Nero ist zementierter Bestandteil der Popkultur.
Und vielleicht sogar ein bisschen angestaubt, könnte man meinen.
2017 erschien im Rowohlt Verlag ein Buch in neuer Auflage, das 1922 in Ungarn erstveröffentlicht und 1923 auf Deutsch erschienen war: Nero – der blutige Dichter, geschrieben von Deszö Kosztolányi.
Kosztolányi, der in der ungarischen Literatur bis heute als großartiger Stilist und genialischer Kopf gilt, legte mit diesem Buch einen Roman vor, der weitaus mehr ist als eine überaus gelungen in Szene gesetzte Biographie Kaiser Neros.
Nero erscheint als unfertige, sensible Seele, als Mensch, der von der herrschsüchtigen Mutter auf den Kaiserthron gehoben wird und sich in Anbetracht der politischen Ereignisse, der eigenen inneren Zerrissenheit und der Einflüsterungen aus dem Umfeld zur narzisstischen Bestie entwickelt, die schließlich an sich selbst zu Grunde geht. Entlang diesem historisch mehr oder weniger verbürgten Narrativ entwickelt Kosztolányi ein Psychogramm Kaiser Neros, das über die historische Figur hinausweist. In glasklarer Sprache und dunkel schimmernden Bildern, denen es nicht an humorigen Akzentuierungen fehlt, analysiert Kosztolányi den Effekt, den uneingeschränkte Macht und narzisstische Kränkungen auf eine empfindsame Seele haben. Der Roman ist eine Meditation über das Kunstschaffen und die Künstlerseele.
Stark ist die Szene, in der Nero, der so gerne als Künstler anerkannt würde, seinen Halbbruder Britannicus zu sich zitiert, um zu erfahren, welches Geheimnis hinter dessen klangvollen Versen steht. Nero will verstehen, hätte am liebsten eine konkrete Handlungsanweisung. Aber Britannicus schweigt, weil er das Geheimnis des guten Gedichtes selbst nicht kennt. Der Kaiser verfällt ob dieser vermeintlich arroganten Verschwiegenheit in neidvolle Raserei und es endet, wie es enden muss …
Das Psychogramm, das Kosztolanyi so entwirft, ist grauen- und mitleiderregend zugleich. Die Vereinzelung, die Nero in der schier unendlichen Machtfülle erfährt, das Zurückgeworfensein auf die gebrochene, fast kindliche Persönlichkeit rührt tief, weil begreiflich wird, dass letztendlich die Anlage, die glückliche Fügung und die Umwelt über das Schicksal einer Seele entscheiden. Neros Handlungen sind grausame Verzweiflungstaten, die in einem dunkelglänzenden Vakuum stattfinden, gegen das sie sich schließlich auch richten. Und so entsteht ein gewissermaßen negativer Entwicklungsroman einer verhinderten Künstlerseele.
Rowohlt hat mit Nero ein äußerst lesenswertes Buch wiederaufgelegt, das mit starken Bildern ein feines Psychogramm des Kaisers zeichnet und den Kunstbegriff in seiner moralischen Ambivalenz zu fassen sucht.
Thomas Mann, der dem erst 38-jährigen Kosztolányi nach Lektüre des Nero einen begeisterten Brief schrieb, jubelte:
„Ja, das ist gut, ist vortrefflich, ist meisterhaft.“
Johannes Fischer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt