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Autor
Trojanow, Ilija

An den inneren Ufern Indiens

Untertitel
Eine Reise entlang des Ganges
Beschreibung

Mit seinen Erzählungen von den “inneren Ufern Indiens” ist Ilija Trojanow ein kleines Meisterstück gelungen. Auf weniger als 200 Seiten erzählt er die Welt Nordindiens in so prägnanten Episoden, Bildern und Begegnungen, dass daraus ein ungemein verdichtetes Porträt mit vielen Schattierungen und wunderbaren Nuancen entsteht.

Verlag
Hanser, 2003
Format
Gebunden
Seiten
197 Seiten
ISBN/EAN
978-3-446-20229-0
Preis
14,90 EUR

Zum Buch:

Du bist die Schöpferin von allem, sagte Shiva, die Mutter aller Mütter. Nichts kann ohne dich existieren. Das stimmte Parvati traurig. Was bleibt mir dann noch zu tun? Du bist die einzige, die die Welt erzählen kann. Würdest du das für mich tun? Was soll ich für dich tun? Die Welt erzählen. Mit seinen Erzählungen von den “inneren Ufern Indiens” ist Ilija Trojanow ein kleines Meisterstück gelungen. Auf weniger als 200 Seiten erzählt er die Welt Nordindiens – beileibe nicht vollständig, das dürfte in der Tat die göttlichen Gaben Parvatis verlangen, aber doch in so prägnanten Episoden, Bildern und Begegnungen, dass daraus ein ungemein verdichtetes Porträt mit vielen Schattierungen und wunderbaren Nuancen entsteht. Es erhöht das Lesevergnügen ohne Frage, selbst in der Region gereist zu sein, denn mit seinen genauen Beobachtungen und pointierten Schilderungen aus dem indischen Alltag verschafft der Autor den Indien-Gereisten zahlreiche Momente des schmunzelnden Wiedererkennens. Aber auch ohne diesen Hintergrund lohnt die Lektüre, denn sie nimmt den Leser mit auf die Reise durch die Landschaften, Zeiten und Mythen, die Feste und auch die alltäglichen Strapazen und Brutalitäten der Wahlheimat des Autors. Das Buch ist weit mehr als eine Reihung der typischen Skurrilitäten, die Reisenden in Indien widerfahren. Trojanow und seine Begleiterin reisen von der Quelle bis zur Mündung entlang des Flusses Ganges, für die meisten Inder die heilige Ganga, die von der Stirn des Gottes Shiva herab in die Welt fließt, und die profan als Fluss oder Wasser zu bezeichnen einem Sakrileg gleichkäme. So erhaben ist die heilige Ganga, dass der Mensch ihr nicht einmal schaden kann mit der Einleitung giftiger Abwässer der chemischen Industrie und sie trotz allem zur rituellen Reinigung taugt… Die Zeitreise verbindet die mythologische und doch allgegenwärtige Vergangenheit, die Welt der pilgernden Sadhus, Fakire und religiösen Feste, mit der ungeschminkten Realität des Indien von heute, das häufig laut ist, distanzlos und voller Verachtung für den Einzelnen. Die Reise führt uns in Hinterhofmanufakturen und Teppichknüpfereien, wo Kinder sich Gesundheit und Zukunft an Webstühlen ruinieren und durch Dörfer, deren Bewohner vom Steineklopfen stumpf geworden sind. Sie führt uns auch ins globalisierte Indien der Call-Center, in denen die unterschiedlichsten Dialekte des Englischen gesprochen werden, um Telefon-Hotlines für alle Regionen der USA und Australiens bedienen zu können. – Sakrales und Profanes, unverschämter Reichtum und hoffnungslose Armut liegen so nah und dabei so selbstverständlich beieinander wie vielleicht nirgends sonst, befremdlich und nicht selten schockierend für westliche Betrachter. Obwohl er diese Abgründe einfängt, gelingt es Trojanow aber, Indien weit weniger düster wahrzunehmen, als Naipaul dies tat, als er Indien als “verwundete Zivilisation” und Area of Darkness beschrieb. Aus Trojanows Erzählton spricht eine Mischung aus furchtloser Neugier und fassungslosem Staunen über den Mix aus Widersprüchen und unfreiwilliger Komik, die ihm seine Reise und vor allem die Menschen, denen er begegnete, bescherten. Der Autor, dessen Biographie ihn zum Kosmopoliten machte – geboren in Bulgarien, aufgewachsen in Kenia, einige Zeit in Deutschland ansässig, lebt mittlerweile in Bombay, spricht Hindi und hat damit auch Zugang zu inneren Welten Indiens erhalten, die sich den meisten Besuchern des Landes entziehen dürften und über das übliche Maß an Reiseeindrücken weit hinausgehen.

Sabine Mannitz, Frankfurt.