Zum Buch:
Auf den Straßen von Paris sieht man ihn nur mit Hut, denn anders würde er sich nackt fühlen. Josipovicis Held, ein altmodischer Typ und Gewohnheitstier, immer unterwegs zwischen Realität und Imagination, verdient seinen Lebensunterhalt als Übersetzer. Wohin gehst Du, mein Leben? ist ein feiner Roman, der an der Oberfläche ruhig über die Seiten fließt und in der Tiefe einen unheimlichen Sog entwickelt.
Paris war eine Flucht im Leben des Übersetzers, eine Flucht aus London nach dem Tod seiner ersten Frau. Von der Zeit in Paris, aber auch von seiner ersten Ehe erzählt er gern und immer wieder, nicht selten ähnliche Geschichten, die sich nur geringfügig unterscheiden. Oft ging er zur U-Bahn-Station Putney Bridge, wenn seine Frau dort auf dem Rückweg von ihrer Arbeit zu erwarten war. Manchmal schlenderten sie dann zu zweit Hand in Hand nach Hause, manchmal versteckte er sich im Gemenge und folgte ihr, ohne bemerkt werden zu wollen.
Seine zweite Frau, mit der er nach den vielen Jahren seiner Pariser Zeit in einem umgebauten Bauernhaus über Abergavenny in den Black Mountains im Süden von Wales lebt, unterbricht ihn gern mit bewundernden Kommentaren, die dann im Lauf der Zeit einen beißend zynischen Tonfall annehmen werden. Der gleiche Satz bekommt in einem anderen Kontext eine andere Färbung, und immer öfter gibt der gleichmäßig ruhige Sprachduktus zwischen den Wiederholungen den Blick auf dunkle Abgründe frei.
Sein Pariser Tagesablauf: „Aufstehen, rasieren, anziehen, Panthéon, Frühstück, Arbeit, Stufen, Kaffee, einkaufen, Mittagessen, Stufen, Musik, Panthéon, Bad, Bett“, hatte dem Übersetzer, der Monteverdis Musik und die Gedichte du Bellays liebt, einen Rahmen gegeben, in dem er sich aufgehoben fühlte. Vielleicht hätte es ihm besser getan, dort zu bleiben, denn wer kann schon wissen, wie viel vergangene, gegenwärtige und zukünftige Wahrheit in einem seiner oft wiederholten Sätze verborgen liegt: „Man treibt in so viele Leben aus … Einer ist ein Mörder. Einer ein Brandstifter. Einer bringt sich um. Einer lebt in London. Einer in Paris. Einer in New York.“
Susanne Rikl, München