Zur Autorin/Zum Autor:
Benjamin Whitmer ist der Autor von “Nach mir die Nacht” und “Im Westen nichts”, die bereits im Polar Verlag erschienen sind. Er lebt mit seinen Kindern in Colorado.
Während eines Schneesturms in Colorado türmen 12 Sträflinge aus dem Gefängnis, woraufhin der für seine Brutalität berüchtigte Direktor seine noch von den Eindrücken des Vietnamkriegs geprägten Männer Jagd auf die Ausreißer machen lässt. Doch ist er keineswegs daran interessiert, dass alle lebend zurückkehren.
(ausführliche Besprechung unten))
Die Sträflinge verkleideten sich während eines furchtbaren Blizzards als Wärter und nahmen zugleich mehrere Wärter als Geiseln, in der spröden Hoffnung, so würde niemand auf die Idee kommen, zu schießen und versehentlich den Falschen zu erwischen. Der jähzornige und äußerst brutale Cyprus Jugg, Direktor des abgelegenen Staatsgefängnisses Old Lonesome Prison, hätte jedoch unter normalen Umständen keinerlei Skrupel gehabt, seinen Männern den Schießbefehl zu erteilen, denn wenn er in seinem Gefängnis auch weder Fluchen noch Lästern duldete, so war er doch stets darauf bedacht, seinen legendären Ruf als Leiter einer der härtesten Strafanstalten nördlich des Colorado River beizubehalten.
Doch es war der Silvesterabend 1968, und er benötigte alle noch verfügbaren Wärter, um die 12 Ausreißer so schnell wie möglich zur Strecke zu bringen. Wobei Jugg das absolut wörtlich meinte. Für sein Dafürhalten lag die beste Methode, einen Gefangenen vom Ausbrechen abzuhalten, darin, ihm auf anschauliche Weise zu demonstrieren, was mit denen geschah, die genau das versucht hatten.
Also stattete er seine Leute mit Gewehren aus, verabreichte ihnen die gleichen Aufputschmittel, die man ihnen bereits als sogenannte Marschpillen in Vietnam zu schlucken gegeben hatte – und ließ sie von der Leine.
Wobei festzuhalten ist, dass die Jäger – darunter Männer wie der einzelgängerische Fährtenleser Jim Carvey oder der schießwütige Rassist Shitkick – nicht weniger im Kriegshandwerk erfahren waren als die Gejagten, unter denen sich der schwarze Anführer Howard befand, der ein Faible für gute Gespräch hegte, oder der Polizistenmörder Mopar, der seine Geliebte gerne noch einmal sehen wollte, ohne genau zu wissen, was er ihr sagen sollte, oder eben der komplett durchgeknallte Dixon, dessen Spitzname nicht umsonst Bad News lautete.
Der Schatten des nach wie vor tobenden Vietnamkriegs lag schwer auf ihren Gemütern. Getriebene allesamt, war doch keiner unter ihnen, der die Welt, in die sie an Leib und Seele erkrankt zurückgekehrt waren, wirklich noch verstand.
Mit seinem dritten Kriminalroman ist dem US-amerikanischen Autor Benjamin Whitmer ein besonders großer Wurf geglückt. In einer rasanten Abfolge immer neuer Wendungen erzählt er auf eindrückliche Weise und ohne viel Umstände zu machen oder sich mit Lappalien oder halbgaren Nebensätzen aufzuhalten, von einem Amerika, das von Alkoholsucht, Rassismus, Gewalt und tiefsitzenden Ängsten geprägt ist, und ich kann nur sagen – auch oder gerade weil ich kein großer Krimi-Fan bin – dass ich in den letzten Jahren kaum etwas besseres gelesen habe. Benjamin Whitmer: Diesen Namen sollte man sich unbedingt merken!
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln