Zum Buch:
Selten hat ein Titel so gut zu einem Buch gepasst wie dieser. Die Phrase „Alles gut“ ist zur Signatur unserer Gegenwart geworden und hat vermutlich deswegen Konjunktur, weil ziemlich genau das Gegenteil der Fall ist. Wenig, sehr wenig ist „in Ordnung“. Bezieht man dies auf unsere Gesellschaft, den Zustand der Welt, lässt sich das auch schnell aufzählen: Klimakatastrophe, Krieg, Rassismus, Ausbeutung etc. Viel schwerer lassen sich Katastrophen, Krisen und Krankheiten beschreiben, deren Bühne die menschliche Seele ist, die mentaler, die seelischer Natur sind. Der Schweizerin Anja Wicki gelingt mit ihrem neuen Comic eine beeindruckende Schilderung einer Krankheit, die gerade wegen ihrer Unsichtbarkeit oft stigmatisiert wird.
Eva braucht Ordnung. Kleinste Abweichungen können, auch für sie durchaus überraschend, zu Zusammenbrüchen führen. Das kann zu Hause passieren oder auf offener Straße. Eva hat psychische Probleme. Auf den Rat ihrer Mutter hin sucht sie eine Therapeutin auf. Das ist der Beginn einer Odyssee durch verschiedene Sprechzimmer (detailliert und mit lakonischem Blick gezeichnet) und verschiedene Therapieansätze. Vom strengen Tagesplan bis zum Rückzug ins buddhistische Kloster – nichts vermag Eva wirklich zu helfen. Ihr zunächst freundliches Umfeld, ihr Partner, ihre Freundinnen, verlieren angesichts der sich verstärkenden Krisen zunehmend die Geduld mit der jungen Frau.
Von ihrer Großmutter bekommt Eva einen Schutzengel zum Geburtstag, ein Bildchen mit dem Erzengel Gabriel darauf. Und plötzlich tritt Gabi in ihr Leben! Keineswegs als ätherische, sanfte Gestalt oder Macht, sondern als laute, energiegeladene Mitbewohnerin. Der keineswegs immer feinfühlige Umgang Gabis mit ihrer neuen Freundin tut Eva gut, aber ohne Rückschläge bleibt auch dieser Weg nicht.
Anja Wickis Stil ist zurückhaltend, ohne psychologisierende zeichnerische Tiefe, nüchtern, aber immer bereit, die Freiheiten des Comics dort besonders zu nutzen, wo sich einfache Erklärungen verbieten oder auch einfach nicht finden lassen. Die phantastische Einführung eines übernatürlichen Wesens wirkt dabei keineswegs als Bruch. Die Not Evas vermittelt sich spürbar, ohne dass man das Gefühl hat, in eine Geschichte gezwungen zu werden.
Jakob Hoffmann, Frankfurt a. M.