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Buchempfehlungen Sachbuch

Autor
Ansary, Tamim

Die unbekannte Mitte der Welt

Untertitel
Globalgeschichte aus islamischer Sicht. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer
Beschreibung

Was ist Weltgeschichte? Gibt es nur eine? Die uns geläufige – Griechen, Römer, Ludwig XIV, Weltkriege? Wie wäre es, wenn man die Perspektive wechselt und einmal nicht den Westen in den Mittelpunkt stellt? Genau das hat Tamim Ansary getan. Allgemeinverständlich und erhellend erzählt er „Globalgeschichte aus islamischer Sicht“. Das Resultat ist ein neuer, geweiteter Blick auf Vergangenheit und Gegenwart einer Region, von der wir uns angewöhnt haben, sie als rückständig und tendenziell bedrohlich wahrzunehmen.

Verlag
Campus Verlag, 2010
Format
Gebunden
Seiten
367 Seiten
ISBN/EAN
978-3-593-38837-3
Preis
24,90 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Tamim Ansary, geboren 1948 in Kabul, wuchs in Afghanistan auf, der Heimat seines Vaters. Seine Mutter war Amerikanerin mit finnischen Wurzeln. Der interkulturelle Blick war Ansary damit bereits in die Wiege gelegt. Sein Buch »West of Kabul, East of New York« wurde zum Bestseller. Tamim Ansary hat zwei Töchter und lebt mit seiner Frau in San Francisco.

Zum Buch:

Wir sind gewohnt, Geschichte aus westlich geprägter Sicht zu betrachten, in der andere Kulturen und Kontinente nur in Abhängigkeit von der unsrigen gesehen werden: Griechen, Römer, Germanen, Mittelalter, Entdeckungen, Aufklärung, Revolutionen, Weltkriege. Wechselt man den Standort und betrachtet Geschichte aus islamischer Sicht sieht das ganz anders aus: Mesopotamien, Persien, Geburt des Islam, Kalifat, Sultanat, Kreuzfahrer, Osmanisches Reich, westliche Durchdringung. Beide Geschichten haben lange und unabhängig voneinander existiert und tun dies bis heute. Denn eine gemeinsame Geschichte ist es nie geworden.  

Tamim Ansary erzählt die Geschichte der Mitte der Welt – wir nennen die Region Naher Osten. Er erzählt von Hethitern, Sumerern, Persern. Von der Entstehung des Islam. Davon, wie Mohammed zum politischen, gesellschaftlichen, juristischen und geistlichen Führer der neuen Religionsgemeinschaft wurde, wodurch der Islam von Beginn an ein gleichermaßen religiöses wie politisches Projekt war. Von der Spaltung in Sunniten und Schiiten. Vom Weg des Islam nach Indien, Pakistan, in die Türkei. Vom Aufstieg und Fall islamischer Reiche, vom Kalifat, Sultanat, vom osmanischen Reich und seinem Untergang. Von der Neuordnung der islamischen Welt durch die willkürlichen Grenzziehungen und Staatsgründungen der kolonialen Mächte. Das Buch endet mit dem 11. September. Von diesem Moment an ist die islamische Geschichte für den Westen unübersehbar wieder aus der Verborgenheit hervorgetreten.     Über die geschichtlichen Fakten hinaus gibt es in diesem Buch unglaublich viel zu entdecken: Wer weiß schon, dass die Dampfmaschine bereits Mitte des 16. Jahrhunderts erfunden wurde, um bei einem Festbankett einen Bratspieß anzutreiben? Ein Spielzeug, dem man, so wie die Produktionsbedingungen waren, keinen weiteren Nutzen abgewinnen konnte. Wie sehen die Kreuzzüge aus, wenn man von Jerusalem aus auf die anrückenden barbarischen Horden blickt? Was geschah in Ägypten nach der Schlacht zwischen der napoleonischen und englischen Armee vor den Pyramiden? Wie weit reicht der Armenierkonflikt zurück? Wer weiß, dass die Übermacht des Westens in den islamischen Ländern damit begonnen hat, dass dieser mit dem bei seinen Entdeckungen gewonnenen Gold die Rohstoffe der Region aufkaufte? Und dass die langsam zerfallenden Reiche dann westliche Militärberater und Waffentechnik ins Land holten?   Entstanden ist das Buch aus einer Vorlesungsreihe über das Verhältnis von Islam und Westen an der San Francisco State University, die später für den Rundfunk überarbeitet wurden. Es ist kein trockener wissenschaftlicher Text, liest sich locker, spannend, oft sogar amüsant (auch wenn einige Formulierungen die Grenze zum Flapsigen streifen). Ansary ist ein Meister kompakter Zusammenfassungen, was zwangsläufig zu Verknappungen führt. Wie aber wollte man sonst auf  348 Seiten eine solch komplexe Geschichte erzählen.   Beim Thema Frauen im Islam tut sich jedoch ein großes Loch auf. Abgesehen von einigen herausragenden weiblichen Persönlichkeiten aus den Frühzeiten geht Ansary genau so mit ihnen um, wie es im fundamentalistischen Islam üblich ist: sie kommen nicht vor. Einzig im Nachwort widmet er der unterschiedlichen Auffassung von islamischer und westlicher Welt über das Selbstbestimmungsrecht der Frauen einige Zeilen. Seine Auffassung, das Problem  ließe sich erschöpfend dadurch erklären, dass in (den meisten) islamischen Ländern die männlichen und weiblichen Welten getrennt sind und sich nur im Privaten begegnen (um die Sexualität als Faktor aus dem öffentlichen Leben auszuschließen), ist angesichts der Lebensrealität vieler Frauen doch zu simpel.   Abgesehen von diesem Kritikpunkt ist Die unbekannte Mitte der Welt ein rundum empfehlenswertes Buch. Ruth Roebke, Autorenbuchhandlung Marx  Co., Frankfurt