Sachbuch

Drucken

Buchempfehlungen Sachbuch

Autor
Anwar, Petra; Düffel, John von

Geschichten vom Sterben

Untertitel
Beschreibung

Die Palliativmedizinerin Petra Anwar erzählt zusammen mit dem Schriftsteller John von Düffel zwölf „Geschichten vom Sterben“. Wahre Geschichten aus ihrer täglichen Praxis, in der sie todkranke und sterbende Menschen betreut, die ihre letzte Lebensphase zu Hause verbringen. Geschichten mitten aus dem Leben – trotz des Themas. Die Autoren erzählen voller Gefühl, aber nie kitschig, sie sind schonungslos, aber nie effekthascherisch. Sie finden die richtigen Worte für ihr Thema, und obwohl ihr Anspruch, dem Leser die Angst vor dem zu nehmen, was Sterben zu Hause bedeutet, zu hoch gegriffen ist, macht das Buch viel Mut, sich auf dieses Wagnis einzulassen, wenn man die Wahl hat. Das kann, auch davon erzählen die „Geschichten vom Sterben“ ein großes Glück bedeuten.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Piper Verlag, 2013
Format
Gebunden
Seiten
240 Seiten
ISBN/EAN
9783492055772
Preis
19,99 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Petra Anwar, geboren 1965 in Borke/Westfalen, arbeitet als Palliativmedizinerin für die Organisation “Home Care” in Berlin. In dem Film Halt auf freier Strecke (ausgezeichnet in Cannes, Deutscher Filmpreis, Bayerischer Filmpreis) spielt sie sich selbst: eine Ärztin, die Schwerstkranke und ihre Angehörigen zu Hause betreut.

John von Düffel, geboren 1966 in Göttingen, lebte zeitweise in Irland und den USA, er promovierte 23-jährig über Erkenntnistheorie und war danach als Theater- und Filmkritiker, als Schauspieldramaturg und Übersetzer tätig. 2006 erhielt John von Düffel den Nicolas Born-Preis des Landes Niedersachsen für sein literarisches Werk.

Zum Buch:

Über lange Zeit wurde beim Thema Sterben und Tod behauptet, es werde verdrängt, verschwiegen und aus dem gesellschaftlichen Diskurs ausgegrenzt. Für den Buchmarkt gilt dies schon seit einer Weile nicht mehr. Regelmäßig erscheinen neue Bücher, die sich auf unterschiedlichste Weise mit dem Tod befassen. Das Spektrum umfasst Erfahrungsberichte von Angehörigen, Trauerratgeber, Esoterik und medizinische Fachbücher. In den letzten Jahren ist es der Hospizbewegung und der Palliativmedizin zunehmend gelungen, ihre Arbeit ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen, und die Bücher, die aus diesem Umfeld erscheinen, sind wirklich hilfreich, da sie sämtliche Aspekte der letzten Lebensphase des Menschen umfassen: medizinische, institutionelle, seelische und spirituelle – wie es der Konzeption der Palliativmedizin entspricht.

2011 erschien von Gian Domenico Borasio, einem international renommierten Palliativmediziner, „Über das Sterben“, das Sachinformationen durch eingestreute Fallgeschichten einfühlsam illustriert. Jetzt ist „Geschichten vom Sterben“ herausgekommen, das die Palliativmedizinerin Petra Anwar zusammen mit dem Schriftsteller John von Düffel geschrieben hat. Die Autoren gehen einen anderen Weg. Anhand von zwölf Fallgeschichten wird alles, was das Sterben von Menschen in ihren eigenen vier Wänden beinhaltet, in erzählender Form behandelt. Darüber hinausgehende Sachinformationen finden sich in einem Anhang.

Die Ärztin Petra Anwar ist vielleicht einigen aus dem Film „Halt auf freier Strecke“ bekannt, in dem sie sich selbst darstellt: eine Ärztin, die Sterbende und deren Angehörige zu Hause betreut, oft über sehr lange Zeiträume,. Sie gehört zu einem der inzwischen in allen größeren Städten zu findenden ambulanten Palliativdienste. Die Palliativmedizin ist aus der Krebs- und Schmerzmedizin hervorgegangen. Wenn die Erkenntnis kommt, dass einem Menschen auf herkömmlichem Weg „nicht mehr zu helfen“ ist, wenn er „austherapiert“ ist, versucht die Palliativmedizin, ihm die verbleibende Lebensspanne so erträglich und lebenswert zu machen, wie es unter den Umständen möglich ist. Weil das inzwischen ziemlich umfassend gelingen kann, wächst auch die Zahl der Menschen, die nicht mehr auf normalen Krankenstationen sterben, sondern in speziellen Palliativstationen, in Hospizen oder, umfassend von Pflegediensten, Ärzten und zumeist den Angehörigen betreut, zunehmend auch zu Hause.

Es sind sehr unterschiedliche Geschichten, die Petra Anwar erzählt. Tröstliche, traurige, verstörende, wütend machende. Geschichten von Verleugnung, Selbstbetrug und Überforderung genauso wie von Einverständnis, dem Glück gewonnener Monate oder der Erfüllung letzter Wünsche. In fast allen wird deutlich: je offener alle Beteiligten mit dem, was geschieht, umgehen können, umso friedlicher und beglückender ist die verbleibende Zeit. Aber sie zeigt auch, wo die Grenzen sein können. Für den Sterbenden genauso wie für die Pflegenden, also zumeist Angehörige, aber auch die professionellen Helfer.

Man kann die „Geschichten vom Sterben“ sicher als Entscheidungshilfe lesen, wenn es darum geht, die Option zu klären, einen Todkranken zu Hause zu pflegen. Aber man kann sie auch dann gut lesen, wenn man noch mitten im Leben steht und der Tod in weiter Ferne scheint. Trotz der Mitarbeit des Schriftstellers John von Düffel handelt es sich nicht um große Literatur. Aber mich haben sie berührt und mir großen Respekt vor denen abgenötigt, die ihr Bestes geben, um die letzte Lebensphase, der wir alle nicht entgehen werden, erträglich zu machen.

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt