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Im Jahr 1600 bezifferte sich Indiens Anteil an der weltweiten Wirtschaftsleistung auf 27 Prozent, wohingegen der Anteil Großbritanniens bei gerade mal 1,8 Prozent lag. Als noch im selben Jahr die East India Company gegründet wurde und in rascher Folge gewinnbringende Faktoreien in Westindien entstanden, witterte auch die britische Regierung ein lukratives Geschäft. Zunächst erklärte sie sich bereit, die Handelsinteressen der Company vor Ort durchzusetzen, rigoros, also auch mit militärischen Mitteln, und sobald sich diese Vorgehensweise einmal etabliert hatte, übernahm London die Geschäfte kurzerhand selbst.
Was folgte, waren zwanzig Jahrzehnte Kolonialherrschaft, in deren Verlauf ein ehemals reiches, auch in sozialen Belangen fortschrittliches Land ausgeplündert wurde und schließlich mehr als 34 Millionen Menschen einen grausamen Hungertod starben. Als die letzten Briten für immer aus Indien abzogen, taten sie dies mit gefüllten Taschen und hinterließen als direkte Folge einer unverhohlenen Ausbeutungspolitik ein geschundenes, erniedrigtes Land. Ein Dritte-Welt-Land.
Doch neben der bewusst vorangetriebenen Deindustrialisierung, der Förderung des Kastenwesens wie auch der Einführung eines rigiden Rechtssystems besteht noch eine moralische Schuld, da die Kolonialbeamten, die nach Indien kamen, es als ihr gegebenes Recht ansahen, über eine minderwertige Rasse zu herrschen, deren Kultur – obschon Jahrtausende alt – es zu zivilisieren galt. Wohlgemerkt nach ihren Vorstellungen und Ansprüchen.
Und diese Demütigung hat Spuren im Gedächtnis Indiens hinterlassen. Narben. Shashi Tharoor hat mit Zeit der Finsternis einen enormen Beitrag zur fehlenden Aufarbeitung der Kolonialgeschichte geleistet; mit spitzer Feder schildert er aus indischer Sichtweise rückhaltlos ein unrühmliches Kapitel aus der langen Ära des britischen Empire.
Axel Vits, Köln