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Gewinner Hörbuchpreis 2024

Autor
Edelbauer, Raphaela

Die Inkommensurablen

Untertitel
Roman. Ungekürzte Lesung. Sprecher: Cornelius Obonya
Beschreibung

Preisträger Deutscher Hörbuchreis 2024 “Bester Interpret”

Ein Welttheater in 36 Stunden: Raphaela Edelbauer lässt drei Menschen einen Tag vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs durch Wien taumeln und umreißt auf etwas über dreihundert Seiten das Panorama einer Gesellschaft am Abgrund – überwältigend, atemlos und ungeheuer unterhaltsam.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Random House Audio, 2023
Format
2 MP3-CDs, Laufzeit: 10h 56min
Seiten
0 Seiten
ISBN/EAN
978-3-8371-6445-9
Preis
24,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Autorin
Raphaela Edelbauer, geboren in Wien, studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst. Für ihr Werk »Entdecker. Eine Poetik« wurde sie mit dem Hauptpreis der Rauriser Literaturtage ausgezeichnet. Außerdem wurde ihr der Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb, der Theodor- Körner-Preis und der Förderpreis der Doppelfeld-Stiftung zuerkannt. Mit ihrem Roman »Das flüssige Land« stand sie auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und des Österreichischen Buchpreises. Raphaela Edelbauer lebt in Wien.

Sprecher
Cornelius Obonya, 1969 in Wien geboren, stammt aus einer Schauspielerfamilie. Seine Eltern sind Elisabeth Orth-Obonya und Hanns Obonya (gest. 1978), seine Großeltern mütterlicherseits waren Paula Wessely und Attila Hörbiger. Den Großteil seiner Schauspielausbildung absolvierte er bei dem Kabarettisten Gerhard Bronner, ehe er 1989 ans Wiener Volkstheater engagiert wurde. Es folgten Auftritte in der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin und am Wiener Burgtheater. Von 2013 bis 2016 verkörperte Obonya den Jedermann bei den Salzburger Festspielen.

Zum Buch:

Raphaela Engelbauers neuer Roman spielt in der Zeit zwischen dem 30. Juli 1914 um 6 Uhr 30 frühmorgens und dem 1. August abends. Der siebzehnjährige Pferdeknecht Hans hat das wenige Geld genommen, das er besitzt, und ist von dem Hof, auf dem er seit sieben Jahren wie ein Leibeigener schuftet, ausgerissen. Nun sitzt er in einem Zug nach Wien, um die Psychoanalytikerin Helene Cheresch aufzusuchen. Das klingt zunächst sehr unwahrscheinlich, aber bevor Hans auf den Hof gebracht wurde, lebte er bei seinem Vater, der einen Holzhandel betrieb, und besuchte das Gymnasium. Weil er ein uneheliches Kind und die Mutter nicht auffindbar war, wurde er nach dem Unfalltot des Vaters umstandslos vom Prokuristen der väterlichen Firma entsorgt.

Da Hans das wenige, was er in der Schule gelernt hat, auf keinen Fall vergessen möchte, liest er, was er in die Finger bekommen kann, und von Helene Cheresch, die über Massenhysterien und parapsychologische Affekte forscht, hat er aus einer alten Zeitung erfahren. Hans will zu ihr, weil er ein eigenartiges Phänomen an sich bemerkt: Es beunruhigt ihn, dass ein Gedanke, den er gerade hat, kurz danach von einer anderen Person ausgesprochen wird.

In Wien angekommen, landet er in einem brodelnden Hexenkessel, der im Laufe des Romans immer weiter an Druck zunimmt. Am Tag zuvor hatte Österreich Serbien den Krieg erklärt, und nun warten alle, ob das mit dem Habsburgischen Reich verbündete Deutschland Russland den Krieg erklärt und die Generalmobilmachung ausgerufen wird. In immer neuen Strömen ziehen Menschenmassen durch die Straßen, ohrenbetäubender Lärm erfüllt die Luft, und alles scheint unter einer kaum auszuhaltenden Spannung zu stehen.

Hans schafft es, sich zu der Analytikerin durchzuschlagen und einen Termin für eine Konsultation am nächsten Tag zu bekommen. In ihrer Praxis trifft er auf den jungen Adam, der aus dem Militäradel stammt und völlig selbstverständlich von seiner Familie für den gehobenen Kriegsdienst eingeplant ist, obwohl seine Neigung der Musik gilt. Und er lernt auch Adams Freundin Klara kennen, eine junge Frau aus ärmstem Milieu, deren mathematische Hochbegabung von Helene Ceresch gefördert wird und die am nächsten Tag an der Universität ihr Rigorosum über Inkommensurable Zahlen ablegen will.

Klara, Adam und Hans verbringen den restlichen Tag und die kommende Nacht gemeinsam. Sie streifen durch die Stadt, in der der Taumel immer stärker wird. In diesem kurzen Zeitraum gerät so ziemlich jede Situation binnen kurzem aus den Fugen: Adams Probe mit seinem Streichquartett führt zu Konflikten zwischen den Mitgliedern, die in einer tätlichen Auseinandersetzung enden. Ein Abendessen bei Adams Familie – beinharten, verkrusteten Militärs – führt zum Rauswurf der drei. In einer finsteren Kaschemme in Wiens Kanalisation, einem Treffpunkt von Halb- und Unterwelt, den auch die Psychoanalytikerin mit ihrem Suffragettenclub besucht, wird Klara urplötzlich mit einem Messer angegriffen. Ihr Rigorosum am nächsten Vormittag wird durch einen nationalistisch aufgeheizten Mob gesprengt.

Atemlos, wild und dabei ungeheuer präzise und genau recherchiert, entwickelt Edelbauers Roman einen Sog, der die LeserInnen mitreißt, sie mit dem inkommensurablen Trio durch den Vorhof zu der Hölle taumeln lässt, die folgen wird. Das Buch ist voller Verweise auf Künstler, Wissenschaftler, Theorien und Moden der Zeit – alles erzählt in einer ungeheuer bildhaften und mit Austriazismen gespickten Sprache. In Dialogen, Beschreibungen und Einschüben kommen die gesellschaftlichen und geistigen Strömungen zur Sprache, die das Wien der damaligen Zeit bestimmten: soziale Auseinandersetzungen, Spannungen zwischen einzelnen Gruppen im Vielvölkerstaat, Antisemitismus, Aufbruch in der Musik durch Schönberg, Frauenrechte, Psychoanalyse, Parapsychologie – und all das endet am nächsten Tag vor dem Rekrutierungsbüro. Die Inkommensurablen ist das komprimierte Panorama einer Gesellschaft am Abgrund – überwältigend, atemlos und ungeheuer unterhaltsam.

Ruth Roebke, Frankfurt a. M.